Öl-Märkte: Gibt es überhaupt ausreichende Alternativen zu russischen Lieferungen? Wie man als Anleger mit der Situation umgehen kann

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Das Thema Gas und Öl bleiben ein zentraler Punkt im ausgebrochenen Krieg in Europa. Trotz der Invasion in die Ukraine und der damit einhergehenden harten Sanktionen durch den Westen liefert Russland bisher weiterhin die Rohstoffe. Zwar hat Russland aufgrund des riesigen Bedarfs seiner Öl- und Gas-Kunden mit dem möglichen Zudrehen der Hähne ein starkes Druckmittel in der Hand, doch das Land ist ebenfalls auf den Handel angewiesen, da es vielleicht die einzige verbliebene relevante Quelle für Einnahmen ist.

Bisher fließen Öl und Gas weiter

Nach Angaben des Konzerns Gasprom laufen die Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 weiterhin auf hohem Niveau. Die durchgeleitete Menge liege wie vertraglich vereinbart bei 109 Millionen Kubikmetern pro 24 Stunden, teilte Gazprom am Dienstag in Moskau mit. Insgesamt sei eine jährliche Menge von 40 Milliarden Kubikmetern vereinbart. Die europäischen Käufer hätten ihre Bestellungen seit Inkrafttreten der Sanktionen gegen Russland deutlich hochgefahren, sagte Gazprom-Sprecher Sergej Kuprijanow der Agentur Interfax zufolge.

Russland hatte stets betont, auch in Krisenzeiten ein zuverlässiger Energielieferant zu sein. Wegen der Sanktionen und der Diskussionen in der EU, sich von russischem Gas und Öl zu lösen, droht Russland nun jedoch zumindest verbal damit, die Lieferungen durch die Ostseepipeline nach Deutschland einzustellen. „Wir haben das volle Recht, eine „spiegelgerechte“ Entscheidung zu treffen und ein Embargo zu erlassen auf die Durchleitung des Gases durch die Pipeline Nord Stream 1, die heute maximal mit 100 Prozent ausgelastet ist“, sagte Vize-Regierungschef Alexander Nowak.

Nowak äußerte sich mit Blick auf die gestoppte Leitung Nord Stream 2, deren Inbetriebnahme Russland anstrebt. „Aber noch treffen wir diese Entscheidung nicht. Niemand gewinnt dabei.“ Allerdings sehe sich Russland inzwischen durch die europäischen Politiker und ihre Anschuldigungen in diese Richtung gestoßen. Die Bundesregierung hat die umstrittene Pipeline wegen Russlands aggressiver Politik gegen die Ukraine gestoppt.

Gibt es überhaupt Alternativen?

Sollte Russland die Rohstofflieferungen einstellen oder der Westen als weitere Sanktionsmaßnahme die Energieimporte selbst unterbinden, wäre das eine extreme Herausforderung für die westlichen Industrienationen – es gibt zwar Alternativen zum russischen Öl und Gas, Experten zweifeln jedoch, ob diese ausreichend sind, sowohl was die Menge als auch was die Logistik hinter der Realisierung alternativer Lieferungen angeht.

„Es gibt einfach keine Möglichkeit, dass selbst die OPEC+ und sogar der Iran und Venezuela zusammen das wettmachen könnten“, so Vandana Hari, Gründerin des Energie-Intelligence-Unternehmens Vanda Insights, gegenüber dem Nachrichtensender CNBC. Laut der Internationalen Energieagentur exportiert Russland täglich etwa 5 Millionen Barrel Rohöl. Davon, so die Expertin, könnten etwa 2 Millionen ersetzt werden, wenn die OPEC-Mitglieder Saudi-Arabien, Irak, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate „gleichzeitig ihre Förderung bis zu ihrer maximalen Kapazität ausdehnen könnten“. Angesichts des strikten Kurses der OPEC-Länder ist jedoch fraglich, ob diese ihre Fördermenge überhaupt erhöhen werden.

USA sprechen mit Venezuela über Alternativen

Sollte die russische Quelle aus dem ein oder anderen Grund versiegen, ist vor allem das rohstoffreiche Land Venezuela ein potenzieller Kandidat für weitere Lieferungen. Hochrangige Vertreter der US-Regierung seien für Gespräche in den südamerikanischen Krisenstaat gereist, sagte Jen Psaki, Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, am Montag (Ortszeit) in Washington. Zum Ergebnis der Gespräche in der Hauptstadt Caracas gab es zunächst keine Angaben. Die USA haben auch gegen das südamerikanische Land Sanktionen verhängt und den autoritär regierenden Präsidenten Nicolás Maduro wegen Drogenhandels und Geldwäsche angeklagt. Zudem setzte die US-Regierung 2020 auf Maduro eine Art Kopfgeld aus.

Venezuela ist das Land mit den größten Ölreserven der Welt. Es gehört neben Kuba und Nicaragua zu den engsten Verbündeten Russlands in Lateinamerika. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine stärkte Venezuela dem Kreml den Rücken.

Wie kann man als Anleger damit umgehen?

Angesichts der derzeitigen Situation rückt der Öl-Sektor natürlich stark in den Fokus. Langfristig ist es das Ziel der Weltgemeinschaft, von fossilen Brennstoffen abzurücken – dieses Ziel ist von existenzieller Bedeutung. Der Weg ist jedoch noch lang und war dies bereits ohne die geopolitischen Spannungen, die in dieser Sache neue Hürden aufbauen. Bei einem Investment in Öl-Werte blickt man also weiterhin auf Potenziale mit einem Zeithorizont von mindestens zwei bis drei Jahrzehnten mit voller Auslastung für diese Industrie, was die Nachfrage angeht – wenn man extrem optimistisch in Bezug auf die globale Energiewende ist.

Die derzeitige geopolitische Lage macht eine Bewertung innerhalb des Sektors schwierig, da eine Zwickmühle herrscht. Russland hat mit seinem Angriff auf die Ukraine den weltpolitischen Status Quo über den Haufen geworfen und die Fronten mit dem Westen enorm verhärtet. Pessimistisch gesprochen kommt fast eine Stimmung wie damals zur Zeit des kalten Krieges auf. Eine langfristige wirtschaftliche Isolierung Russlands vom Westen ist in den letzten Wochen wesentlich wahrscheinlicher geworden. Derzeit ist vor allem Deutschland jedoch noch extrem abhängig von den Rohstofflieferungen Russlands, die Bemühungen zur schrittweisen Abkoppelung werden nun jedoch forciert. Auch wenn der Ukraine-Konflikt so positiv wie nur möglich enden wird, ist langfristig eine weitere Abkehr des Westens von Russland eine sinnvolle Kalkulation aus Anlegersicht.

Daher rücken Öl-Werte aus den USA und Europa verstärkt in den Fokus – hier dürfte die Nachfrage in den nächsten Monaten enorm steigen und diese Konzerne stark von der Situation profitieren. Die ersten Titel, die dabei in den Sinn kommen, sind die US-Riesen Exxoin Mobil, Chevron, ConocoPhillips oder auch europäische Werte wie die französische TotalEnergies oder der britische Konzern BP. Kleinere Werte aus Südamerika locken ebenfalls mit Potenzial, hier ist das Risiko aufgrund der lokalen politischen Lage und internationalen Entwicklungen für Investoren jedoch erheblich größer.

Die moralische Frage, ob man angesichts der Klima-Krise in diesen Sektor investieren sollte, kommt dabei erschwerend hinzu und liegt in der Entscheidung eines jeden Investors selbst. Eine alternative Investmentidee angesichts der Lage an den Öl-Märkten ist ein Engagement in Elektromobilität oder in Erneuerbare Energien, da aufgrund der voraussichtlichen Neuordnung der Versorgungswege nicht nur Öl-Werte, sondern vor allem auch die Sektoren der Zukunftsenergien im Vordergrund stehen. Der Umbau dürfte mit der Bestrebung des Westens nach mehr Unabhängigkeit bei der Energiefrage langfristig nur noch mehr forciert werden.

Von Alexander Mayer mit Material von dpa-AFX

Titelfoto: Kodda / Shutterstock.com

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